Was uns gut tut

Liebe Leserinnen und Leser,

seelische Gesundheit, wie macht man das? Eigentlich ja wohl ganz einfach. Das Rezept heißt: Mach, was sich gut anfühlt und vermeide, was Dich runterzieht. Um­gib Dich mit Menschen, die Dir gut tun und beende Beziehungen, die Dich fertigmachen. Oft ist das aber gar nicht so einfach. Warum eigentlich nicht? Vielleicht, weil wir die Fähigkeit brauchen, unsere Gefühle wahrzunehmen und den Mut, uns zu erlauben, danach zu handeln.

Was gut tut, wissen kleine Menschen intuitiv:

Wärme, satt sein, geliebt werden, mit jemandem kuscheln, ganz viel lachen, etwas bewirken können, Erfolg haben, getröstet werden, einen schönen Klang, Geruch oder Geschmack wahrnehmen und etwas spüren, das sich auf der Haut und unter den Händen und Füßen gut anfühlt. Das, was sich intuitiv gut anfühlt, findet seinen Widerhall nicht nur in uns, sondern auch in unserem Umfeld. Von dort erhalten wir Korrekturen unserer Empfindungen. Nicht alles, womit Kinder schön matschen können, was wunderbar scheppert oder was einen Höhenrausch verursacht, ruft die Begeisterung der Eltern hervor. Und das ist oft ganz gut so. An den Reaktionen ihrer Eltern lernen Kinder nach und nach Kultur und das Managen von Gefahren. Das ist wichtig zum Zusammenleben und zum Überleben. Unser Gefühl für das, was uns gut tut, wird auf diese Weise im Lauf der Zeit modifiziert. Wichtig ist aber, dass wir in diesem Prozess den positiven Bezug zu unserem eigenen Gefühl nie verlieren.

Ebenso haben wir eine Intuition für das, was uns schadet:

Hunger, Kälte, Einsamkeit, bedrängt oder verletzt werden, von geliebten Menschen getrennt sein, eingesperrt oder zu etwas gezwungen werden. Im Lauf der Zeit müssen wir trotzdem lernen, Unangenehmes zu tolerieren. Kinder müssen spätestens im Kindergarten oder in der Schule eine Zeit lang ohne Eltern zurechtkommen und ab und zu werden sie sogar geimpft oder zum Zahnarzt gebracht. Wir lernen, das zu verkraften und in der Regel wachsen wir daran. Vor allem lernen wir durch den emotionalen Kontakt mit unseren Eltern, wenn es gut läuft, unsere Gefühle zu regulieren. Vieles ist nicht so schlimm, wie es sich im ersten Moment anfühlt und wenn Trost nicht weit ist, kann man Angst besiegen. Entscheidend ist auch hier ebenso wie bei den positiven Gefühlen: Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigenen Emotionen. Wir müssen irgendwann akzeptieren, Unangenehmes auszuhalten, wenn es einem wichtigen Zweck dient oder unvermeidlich ist. Wir sind aber niemals verpflichtet, es schön zu finden.

Jeder Mensch hat das Recht auf eigene Emotionen

Das klingt zunächst selbstverständlich, ist es aber leider nicht. Gefühle haben die Eigenschaft, sich unbemerkt in kürzester Zeit von einem auf den anderen Menschen zu übertragen. Und Gefühle können manipuliert werden. Das ist ein sehr effektives Machtinstrument. Wer die Gefühle anderer manipuliert, tut das, um sich zu entlasten und eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Eine Mutter sagt zu ihrem Kind, dass sie jetzt ganz traurig ist, weil das Kind sein Zimmer nicht aufräumt. Damit macht sie dem Kind Schuldgefühle, weil das für sie einfacher ist, als mit dem kleinen Chaoten zu verhandeln und sich mit ihm auseinanderzusetzen. Ein Jugendlicher schiebt die Schuld für alle seine Missstimmungen und Probleme seiner Freundin in die Schuhe und stilisiert sich so zum Opfer. Sie hat dauernd das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen und weiß nicht, wofür. Im Fall von sexuellem Missbrauch reden Täter den Opfern ein, sie hätten die Tat selbst gewollt und sogar genossen, um sie einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.

Zurück zur Ausgangsfrage. Ich denke, dass wir unsere eigenen Gefühle oft nicht ernst nehmen, weil Gefühle anderer Menschen im Vordergrund stehen, die wir für unsere eigenen halten. Junge Menschen stehen vor der Aufgabe aus dem Gewirr von Wahrnehmungen, Bewertungen, Zuschreibungen und Emotionen das zu finden, was sie ausmacht. Dabei helfen Menschen, deren Gegenwart sich gut anfühlt. Sie nehmen Eure Gefühle wahr, teilen und respektieren sie. Als Seelsorgerin versuche ich, Menschen zu unterstützen, ihre Gefühle wahrzunehmen und deren positive Kraft für sich zu nutzen.

Also: Finde heraus, was Du fühlst und vertraue darauf! Du darfst dürfen! Pass auf Dich auf!

Ulrike Fries-Wagner

Die Autorin ist Pfarrerin und Erziehungs­wissenschaftlerin und arbeitet als Seelsorgerin im LMU Klinikum München (Hauner’sche Kinderklinik und Psychiatrie). Zuvor war sie Dekanatsjugendpfarrerin in Weilheim.