Eine Frage der Haltung

Nationale Grenzen durch internationales Engagement überwinden

„Frieden gabst Du schon, Frieden muss noch werden“ – so heißt es in einem Gesangbuchschlager. Und so könnte auch eine gute Begründung der internationalen Jugendarbeit der Evangelischen Jugend lauten.

Mit unserem Eintreten für friedliche Begegnungen von Jugendlichen aus aller Welt stehen wir aktuell im scharfen Kontrast zur täglichen Nachrichtenlage. Zur Logik von Hass, Krieg und Gewalt. Das Engagement für ein friedliches Miteinander von Kulturen und Religionen bei uns und über unsere engen Grenzen hinweg entspricht unserem Auftrag, als Jugendverband Werkstätte der Demokratie zu sein. Damit treten wir national, europäisch und international für zentrale Werte der Reformation wie Weltverantwortung ein. Internationale Begegnungen junger Menschen in Zeiten der Krise zu organisieren, ist ein lebendiges Zeichen der Hoffnung inmitten alter und neuer Konflikte, die uns im Wortsinne nahegehen.

Während wir Projekte schmieden und Reisepläne machen, wird mitten in Europa getötet und gestorben. Während wir Verpflegungskosten und Zuschüsse kalkulieren, steigt der Meeresspiegel und schmelzen die Polkappen. Wie aushalten und nicht verzweifeln, wenn Transparente niemanden wachrütteln und weder die vegane Ernährung noch andere Praxen des Verzichts uns aus der kollektiven Verstrickung lösen?

Alle aktuellen Debatten und Aktionen in Deutschland, in denen die einst als unpolitisch geschmähte Jugend mit radikalen Forderungen nach Umkehr von sich hören lässt, sind gleichzeitig die deutschen Bildausschnitte globaler Phänomene. Erst die Erkenntnis der weltweiten Folgen unseres Tuns und unseres Lassens fordert uns aus national begrenzten Komfortzonen heraus und zwingt uns und unsere deutschen Vorstellungen in den Dialog mit anderen Beteiligten weltweit.

Denn von der Forderung der Klimagerechtigkeit über die Ideen von Handel, Konsum, Diversität, Mobilität, Postkolonialismus und Antirassismus bis hin zu den schwierigen Fragen nach unseren ethischen Positionierungen in Krieg und Frieden gilt: Es gibt keine Verheißung auf bequeme, nationale Alleingänge oder auch nur europäische Lösungen. Unsere Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie stehen ebenso wie die ausufernde politische Kontroverse dazu in Deutschland sinnbildlich für die öffentliche und private Überforderung, mit nationalen Reaktionen einer globalen Bedrohung durch solidarisches Handeln gerecht zu werden.

Für junge Menschen braucht es nicht erst die Krise, nicht erst die Katastrophe, nicht erst den Krieg, um durch die internationalen Begegnungen auf eine zentrale reformatorische Kategorie gestoßen zu werden.Selbst durch das gerade erst entfaltete Leben geht man nicht ohne Schuld. Mit solchen Widersprüchen ethisch reflektiert umzugehen, lernt man in der Evangelischen Jugend.

Auch mit der gelegentlichen Nutzung von Flugzeugen für die Begegnung mit Partner:innen aus Ländern, die von der Klimakrise am stärksten betroffen sind. Der Ausschluss ganzer Regionen, weil sie mit Bus und Bahn nicht zu erreichen sind, würde zwar unser Gewissen entlasten, aber genau die falschen Zeichen setzen.

International und vernetzt handeln

Die Evangelische Jugend wartet nicht ab, sie handelt. Und sie handelt international vernetzt. Gerade in der Krise entwickeln Jugendliche und Fachkräfte neue Projektideen mit Partnern rund um den Globus. Mal bilateral unter Nachbarn, mal zu dritt auf verschiedenen Kontinenten, mal multilateral in unseren Dachverbänden wie dem Ökumenischen Jugendrat in Europa (EYCE). Immer mit der Offenheit für Vielfalt und den neuen Blick auf die eigenen Gewissheiten. Immer mit dem Wissen, fragmentarisch zu leben und auch durch Fehler gemeinsam voranzukommen.

Ein gutes Beispiel: Mitten in der Pandemie starten Partner aus Deutschland und Polen einen neuen Anlauf für intensivere Zusammenarbeit, laden sich gegenseitig ein, wie zum Evangelischen Jugendtag in Wisla oder zum Kirchentag in Nürnberg, organisieren die Unterstützung für das internationale Jugendcamp zur Versammlung des Lutherischen Weltbundes in Krakau 2023. Dem kühlen Klima zwischen beiden Regierungen setzen sie coole Projekte entgegen.

Das internationale und ökumenische Engagement der Evangelischen Jugend ist eine Frage der Haltung zu ihrem Auftrag, der bereits im Denken nationale Grenzen überwindet. Ob auf lokaler Ebene im Jugendaustausch oder im Engagement der Verbände für die Stärkung der Zusammenarbeit auf europäischer und globaler Ebene – immer gesellt sich zur Nächstenliebe am fernen Nächsten auch der Nutzen für die eigene Weiterentwicklung. Dabei ist die internationale Jugendarbeit nachhaltig angelegt, weil sie kein Produkt einer Marktlogik oder jugendpolitischen Mode ist, sondern nach ihren Gaben handelt. Denn mit dem Gesicht zur Welt zu leben, hat bei uns Tradition.

Dirk Thesenvitz
Referent für deutsch-französische, internationale und ökumenische Jugendarbeit bei der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej)