In Neuem steckt Verheißung

Ein Artikel zu Neuem? Da hab‘ ich im Januar schon mal was zu geschrieben, das kann ich doch bestimmt wiederverwen …

So ganz neu ist wahrscheinlich nichts. Jeder Gedanke wurde schon mal in Worte gefasst, viele Projektideen schon mal von jemand anderem umgesetzt. Aber ist das tatsächlich der Maßstab? Wenn Bekanntes neu kombiniert oder in einen anderen Kontext gestellt, für ein anderes Ziel genutzt oder von jemand Außenstehendem neu betrachtet wird, dann kriegt es neuen Glanz. Wenn man sich verliebt und jemanden mit neuen Augen betrachtet  – noch nie war er_sie so schön. „Neues“ liegt oft im Auge der Betrachterin. 

Warum ist Neues eigentlich so schön?
Neues ist ein Versprechen. Neues ist Hoffnung: Die faulen Kompromisse und eingeschliffenen Routinen sind Vergangen­heit, jetzt wird alles anders. Auf der Suche nach einer Metapher fällt mir ein Vergleich ein, der heute weit weg scheint: Die dünne Plastikfolie, die man von einer neu gekauften CD abgemacht hat – und die eigentlich immer Widerstand leistet, so dass man am Ende doch mit der Schere drangeht – ganz vorsichtig, damit die blanke Hülle bloß keinen Kratzer bekommt. Diese Folie sagt: Genau dieses Album, genau diese CD hat noch niemand angehört – du bist die Erste. Heute ein eher seltenes Erlebnis. Bei Spotify wirklich kein Kriterium mehr. Im Gegenteil: Hohe Zugriffszahlen signalisieren, dass sich Tausende, Millionen Menschen weltweit einig sind: Dieser Song lohnt sich.

Was macht Neues mit uns?
In Neuem steckt immer eine Hoffnung und auch eine Verheißung. Mit dieser Musik in den Ohren wird der Alltag beschwingt, dieser Rhythmus, diese Stimme wird dich begleiten. So wie gute Musik beim Joggen antreibt und Kraft gibt, können neue Ideen, neue Menschen, eine neue Aufgabe uns richtig viel Schwung geben. Ein ganzer Teil dieses Schwungs entsteht im Zwischenraum von Idee und Realität, von Theorie und Praxis. Es ist der kleine Zwischenraum des Nichtwissens, der Unsicherheit „Wird das funktionieren?“ „Verstehen wir uns?“ „Bin ich hier richtig?“ – dieser kleine Zwischenraum, der eben auch Verheißung bedeutet, der Projektions- und Verlockungsfläche wird für unsere kühnsten Träume. Je nach Erfahrung und Persönlichkeit überwiegt mal das eine oder andere.

Neues braucht Luft und Begleitung
Gerade in Gruppen, die neu zusammenkommen, empfinde ich immer eine großartige Spannung. Der Zauber des Anfangs ist zum Greifen nah. Alles ist möglich. Auf quasi magische Weise.

In der Jugendarbeit, gerade der kirchlichen, wissen wir: Dieser Magie kann man nachhelfen. Wenn sich nach den langen Lockdown-Monaten ehrenamtliche Teams neu formieren oder Gremien neu besetzt werden, gestalten wir diese Prozesse so, dass vieles gut organisiert ist und zugleich Freiraum für den Funken Magie für heilige Begeisterung bleibt. Dass neben dem Geplanten und Konzipierten auch Ungeplantes neu entstehen kann. So bilden sich neue Ideen in Freiräumen. In Leerläufen. In Pausen. In Langeweile. Neues entsteht, wenn wir uns jenseits von Routine und außerhalb der Tagesordnung bewegen.

Muss das immer sein?
Wir Menschen sind neu-gierig. Wir wollen entdecken, wollen uns herausfordern, wollen überrascht werden. Oder? Manchmal ja auch nicht. Neues kann ziemlich anstrengend sein. Es fordert Energie und Veränderungswillen, Offenheit und Anpassungsfähigkeit. Hat man nicht immer. Wenn schon drei neue Projekte laufen, ist man womöglich weniger offen für ein viertes, fünftes und sechstes. Wenn der Alltag eh schon fordert, kann alles Neue zu viel sein.

Und zugleich brauchen wir alle zwischen­durch ein wenig neuen Glanz oder auch eine ordentliche Portion Glitzer im ansonsten routinierten Alltag. Dieser „Cocktail“ erfüllt Versprechen, Hoffnung und Verheißung.

Dr. Julika Bake
Fortbildungsreferentin im Studienzentrum für evang. Jugendarbeit in Josefstal e. V.